Genesungsbegleitung und ihre Stellung in zukünftigen Fachkonzepten der Eingliederungshilfe

Die Genesungsbegleitung entwickelt sich seit Jahren unbestritten zu einem wesentlichen und Empowerment stärkenden Element in der Unterstützung von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen. Neben der konkreten Arbeit mit den Klient*innen sind auch die Arbeit in den Teams und in den (Leitungs-) Gremien der jeweiligen Organisation bzw. des Leistungserbringers von großer Bedeutung um Recovery und Empowerment langfristig umzusetzen.
Im Landesrahmenvertrag für die Eingliederungshilfe in NRW werden die Genesungsbegleitung bzw. der Einsatz von EX-IN zertifizierten Genesungsbegleiter*innen leider nicht berücksichtigt. Im Folgenden werden Möglichkeiten dargestellt und Empfehlungen ausgesprochen, wie und an welchen Stellen in den zukünftigen Fachkonzepten die Genesungsbegleitung realisiert werden kann.

Qualifizierte Assistenz

In der Anlage A des Rahmenvertrages, Abschnitt 5.2.6, werden Leistungen zur Qualifizierten Assistenz benannt:

  • Unterstützung bei der Auseinandersetzung mit der eigenen Beeinträchtigung
  • Unterstützung bei der Auseinandersetzung mit den wahrgenommenen Behinderungen im Alltag
  • Beratung und Anleitung im Erkennen eigener Ressourcen
  • Beratung und Anleitung bei der Umsetzung persönlicher Ziele

Diese Leistungen entsprechen nach unseren Erfahrungen in der täglichen Praxis und nach unserem Verständnis den Aufgaben der Genesungsbegleitung. Zur Umsetzung dieser Aufgabenschwerpunkte in der Praxis muss die Arbeit der Genesungsbegleiter*innen der Qualifizierten Assistenz zugeordnet werden. Der Versuch, die unterstützende Assistenz als Verortung für die Genesungsbegleitung heranzuziehen, greift zu kurz, da die Leistungen in der Praxis weit über das hinausgehen, was als unterstützende Assistenz beschrieben wird.
Allerdings stehen die bisher fehlende Fachkraftanerkennung bzw. die nicht vergleichbare Berufsausbildung/Qualifikation von Genesungsbegleiter*innen einer Zuordnung der Qualifizierten Assistenz entgegen.

Ein wesentlicher Zugang zur Genesungsbegleitung ist, neben einer guten Qualifizierung, die Erfahrung und Auseinandersetzung mit eigenen schweren seelischen Erschütterungen. Dieser persönliche Zugang zur Arbeit als Genesungsbegleiter*in ist einzigartig und nicht in das herkömmliche Konzept einer „Ausbildung“ integrierbar. Ebenso ist der Output, nämlich einerseits einen unmittelbaren Zugang zu den Klient*innen und deren Erleben zu haben und anderseits die Übersetzung und das erfahrbar machen von psychischen Ausnahmezuständen für die Kolleg*innen eine deutliche Erweiterung des Blickwinkels und somit ein enormer Zugewinn an Fachlichkeit.

Eine Anerkennung der Genesungsbegleitung mit zertifizierter EX-IN-Ausbildung oder einer vergleichbaren Qualifikation als Fachkraft außerhalb der üblichen Ausbildungswege wäre daher aus Sicht der RGSP notwendig und wichtig. Dazu sollte gleichzeitig eine mehrjährige Berufserfahrung, z.B. 2 Jahre Einsatz in einer stationären oder ambulanten Einrichtung der Eingliederungshilfe und/ oder Psychiatrie als Voraussetzung dienen. Damit würde eine Analogie zu einer fachlichen Ausbildung, die aktuell zur Anerkennung als Fachkraft benötigt wird, hergestellt.

Ein solches Vorgehen entspräche auch der Orientierungshilfe der Bundesarbeitsgemeinschaft der Träger der Sozial- und Eingliederungshilfe. Hier wird von einer notwendigen Ausbildung gesprochen ohne diese spezifisch zu definieren. (vergl. BAGüS Orientierungshilfe zur Sozialen Teilhabe Stand Januar 2021 S.4).

Vorhalteleistungen

Auch als Vorhalteleistungen (vergl. BAGüS Orientierungshilfe zur Sozialen Teilhabe Stand Januar 2021 S. 5) sind Leistungen der Genesungsbegleitung denkbar. Siehe nachfolgende Punkte zu den Fachmodulen Wohnen und Organisationsmodul.

  • Die Genesungsbegleitung könnte neben der Anerkennung als Fachkraft gleichzeitig, aber trotzdem abgegrenzt zur Qualifizierten Assistenz, konzeptionell als eigener Baustein beschrieben werden, um eine Zuordnung im Fachmodul „Wohnen“ anzustreben. Hier beinhaltet die Verortung Organisationsberatung, Förderung von Teamentwicklungen, interne Fortbildungen, Fallberatungen, Beschwerdemanagement, etc., etc., sprich Leistungen, die nicht im Einzelfall abgerechnet werden. Notwendig wäre bei letzterem eine genaue Abgrenzung zu den Assistenzleistungen und damit der Ausschluss einer Doppelfinanzierung.
  • Im Organisationsmodul ließe sich die Genesungsbegleitung auch unter dem Punkt 5.4.8 „Sonstiges Personal“ abbilden. Hierbei sind die oben zum Fachmodul Wohnen beschriebenen Ausführungen zu beachten.

Weitere mögliche Leistungen

  • Eine weitere und/ oder zusätzliche Möglichkeit unabhängig von der „Verortung“ in den Fachkonzepten für Angebote der Genesungsbegleitung, besonders im Bereich von (Recovery-) Gruppen, könnte das Fachmodul „Tagesstruktur und Schulungen“ sein.

Zusammenfassend favorisiert die RGSP die Anerkennung der Genesungsbegleitung als Fachkraft unter bestimmten Voraussetzungen (z.B. EX-IN-Zertifizierung mit anschließendem 2jährigen Praxisnachweis) und damit den Einsatz in der Qualifizierten Assistenz und darüber hinaus eine Zuordnung als Vorhalteleistung für bestimmte definierte Aufgaben (Teamentwicklung, Fallberatung, interne Fortbildungen, etc.) im Fachmodul Wohnen oder dem Organisationsmodul. Das würde der tatsächlichen Praxis und dem tatsächlichen fachlichen Einsatz der Genesungsbegleiter*innen gerecht werden.

Abschließend erlauben wir uns, darauf hinzuweisen, dass es sich bei den EX-IN zertifizierten Fachkräften oftmals um Mitarbeitende mit Teilzeitstellen handelt, die zusätzlich zu ihrer EX-IN Ausbildung häufig eine abgeschlossene Berufsausbildung oder ein abgeschlossenes Studium absolviert haben. Durch die Anerkennung als Fachkraft im Rahmen der qualifizierten Assistenz wäre eine Vergütung möglich, die den Qualifikationen und den zu erbringenden Leistungen entspricht. Auch dies wäre ein wichtiges politisches Signal zur Anerkennung der Kompetenz und zur Teilhabe der Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung.

Mit freundlichen Grüßen

Für den Vorstand

Gez.

Stefan Corda-Zitzen
Geschäftsführer PHG Viersen
Vorsitzender RGSP

Dieter Schax
Vorstandsvorsitzender Verein für die Rehabilitation psychisch Kranker e.V.
Stellvertretender Vorsitzender AGpR e.V.